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Norbert Knofo Kröcher - vom Fahndungsplakat nach gesuchten AnarchistInnen der Bewegung 2.Juni - 1975  Norbert Knofo Kröcher
vom Fahndungsplakat nach gesuchten
AnarchistInnen der Bewegung 2.Juni - 1975

Ausschnitt aus 'Projekt Arthur' - Film u.a. mit Knofo Norbert Knofo Kröcher, Kranfahrer, Photograph, Gründungsmitglied der "Bewegung 2.Juni" (Westberlin), ist Publizist von politisch spitzfindigen Kurzgeschichten und Texten. Er setzt sich aktiv für das Nichtvergessen der Verbrechen von Nazi-Deutschland ein.

Auswahl:


Geschichte eines Denkmahnmals

[Adolf Burger] lebt in Prag. Er ist Jude und Kommunist. Das brachte ihn 1942 nach Auschwitz. Wie durch ein Wunder schaffte er es, eineinhalb Jahre in der Todesfabrik zu überleben. Dann kam er, als gelernter Typograph, nach Sachsenhausen, wo die SS mit dem "Unternehmen Bernhard" die größte Geldfälscheraktion der Weltgeschichte begonnen hatte. Hier druckte Burger zusammen mit 143 Leidensgefährten u.a. gigantische Mengen englische Pfundnoten, die so "echt" waren, dass die Bank von England sie akzeptierte. Es war ein Todeskommando, denn natürlich sollte niemand von den beteiligten Häftlingen überleben. Eine Verkettung glücklicher Umstände rettete ihn ein weiteres Mal; 1945 wurde er im KZ Ebensee von den Amerikanern befreit.

Seit einer Reihe von Jahren organisiere und betreue ich eine alljährliche Vortragsreise von Adolf Burger durch Berliner Schulen. Im Mai 1999 schaffte ich es endlich, seiner Einladung nach Prag zu folgen. In der gleichen Pension in Prag-Sporilov, in der Adolf mich und meine LABV (Lebensabschnittsbevollmächtigte) Nikki Bernstein untergebracht hatte, übernachtete auch Dr. Morsch, der Direktor der Brandenburgischen Gedenkstätten, der vom tschechischen Sachsenhausen-Komiteé eingeladen worden war. Bei einem gemeinsamen Essen kam das Gespräch auf ein nahezu in Vergessenheit geratenes geschichtliches Detail des tschechischen Widerstandes gegen die Nazis: im November 1939 demonstrierten im besetzten Prag tausende Studenten gegen die Deutschen. Das war sehr mutig. Doch 1140 Studenten wurden verhaftet und am 17. November 1939 nach Sachsenhausen deportiert. Einundzwanzig von ihnen kehrten nicht zurück. Nun erzählte uns Dr. Morsch, dass in der Gedenkstätte ein Ehrenhain eingerichtet werden soll, in dem an die bisher vernachlässigten Opfergruppen erinnert werden soll, wie z.B. an die Sinti und Roma, die Schwulen, die Zeugen Jehovas sowie an bestimmte Einzelpersonen. Dort wäre auch Platz für einen Gedenkstein, um an die einundzwanzig tschechischen Studenten zu erinnern.



Abt. Die Wahrheit und nichts als sie

Wahr ist: am 14. juli haben Buenaventura Durrutti, Dieter Kunzelmann und Knofo Geburtstag.

Unwahr ist: Am 14. Juli 1789 wurde die Pariser Bastille erstürmt und geschleift. Und es ist völlig schleierhaft, weshalb die Franzosen an diesem Tag jedesmal so einen Fez machen.

Also, die Bastille war eine Festung. Erst im 17. Jahrhundert wurde sie, als sie ihre strategische Bedeutung definitiv verloren hatte, als Gefängnis genutzt. Und zwar als Luxus-Knast für adlige Ärsche, die irgendeine Oberschicht-Tucke geschwängert, ein gehässiges Wort über den Regenten geäußert oder ein Duell gewonnen hatten (die waren damals nämlich gerade verboten). Es gab noch nicht einmal Zellen, sondern recht luxuriöse Appartements, die nicht verschlossen waren. Anstelle von Schließern wieselten Bedienstete durch die Gänge. Bewacht wurde das ganze von einer Kompanie Kriegsinvaliden. Voltaire, beispielsweise, war 1717/18 ein knappes Jahr lang hier untergebracht; in dieser Zeit schrieb er sein Epos "Henriade" und das Schauspiel "Ödipus". Bei seiner Entlassung wurde er fürstlich entschädigt, denn seine Inhaftierung beruhte auf einem Irrtum.


Abscheu und Empörung über den feigen und gemeinen

Tja, 20 Jahre zu spät, aber dafür pünktlich zum 109. Geburtstag des Führers war es dann soweit: Reuters, die Nachrichtenagentur des Landes, das schon viel länger eine RAF hat (Royal Air Force) erhält aus Karl-Chemnitz-Stadt den allseits bekannten 8-Seiten-Schrieb, mit dem das Namensvetterchen sein Dahinscheiden erklärt.

Wir erinnern uns: am 14. Mai 1970 wird Adreas Baader während einer Ausführung aus dem Gefängnis befreit. Und gleich pfeifen die Kugeln, fließt Blut. Ein Tabu war gebrochen. Unsere Gegengewalt gegen die organisierte Gewalt des Staates hatte sich bis dato (wenn man mal von den zahlreichen Prügelein mit der Polizei absieht) ausschließlich gegen Sachen gerichtet. Bei all den kleinen Brandanschlägen und Entglasungsaktionen war es immer oberstes Gebot gewesen, dass niemand dabei verletzt werden sollte. Dennoch: in der damaligen radikalen Westlinken, zu der auch der nichtsnutzige Verfasser dieser Zeilen gehörte, stößt dieser politische Paukenschlag zunächst auf breite Zustimmung. Zu den klammheimlichen Bewunderern dieser Aktion gehören auch viele, die alles andere als radikal sind; die dann, als sie merken, wohin der Hase zwangsläufig wetzen wird, sich recht schnell wieder distanzieren, um ihre Karriere im Apparat nicht zu gefährden. Immerhin erklären in einer repräsentativen Umfrage anfang 1972 in der BRD rund ein Viertel der Befragten unverhohlene Sympathie für die RAF und ihre ersten Aktionen gegen US-Amerikanische Einrichtungen in Westdeutschland, mit denen der Befreiungskampf eines kleinen tapferen Volkes in Südostasien unterstützt werden sollte.

Das war die Geburtsstunde des "Konzeptes Stadtguerilla". Zu den - kritischen - Befürwortern dieses strategischen Planes gehörten auch wir, der Blues, der Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen, die Tupamaros Westberlin, die Schwarzen Ratten, die Schwarzen Zellen, und wie wir uns sonst noch - teilweise in Personalunion - damals nannten. Doch wir hatten Anderes - aber Ähnliches - im Sinn. Der marxistisch-leninistisch-maoistisch gewirkte Einheitsanzug, den die RAF allen Militanten anziehen wollte, mochte uns nicht so recht passen. Das Ding kratzte hinten und vorne. Und der kulturevolutionäre Aspekt kam bei der RAF entschieden zu kurz. Und so verweigerten wir uns dem Liebeswerben unserer roten Brüder und Schwestern, obschon es anfänglich noch diverse theoretische und praktische Berührungspunkte gab. Rekrutieren lassen wollten wir uns aber auf keinen Fall. Stattdessen gründeten wir das libertärsozialistische proletarische Pendant, die Bewegung 2. Juni.


Diener vieler Herren

Geschichte wird geschrieben, es geht voran. 30 Jahre Karl-Heinz Kurras (der Polizist, der am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg erschoss). Inge Viett lässt sich von Spiegel-TV und Küppersbusch ("Privatfernsehen") in die Nasenlöcher schauen. Kein Wochenende ohne Seminare, Meetings, Veteranenstammtische zum Thema: Damals war's, die APO, die linksradikale Bewegung und die Republik, die nach diesem Wirbelsturm der 60er und 70er Jahre nicht mehr die Gleiche sein würde (frei nach Rudi Dutschke).

Hinz & Kunz melden sich zu Wort, Dabeigewesende und solche, die's gern gewesen wären. Uralte Verletzungen und Eitelkeiten tauchen aus der Versenkung auf und werden per offenem Brief in der "Zeit" und anderswo gleich im halben Dutzend dem Publikum um die Ohren gehauen. Auffällig ist, dass die damaligen Ereignisse, die das Land so nachhaltig wie kein anderes Nachkriegsgeschehen verändert haben, ausgerechnet im "Spiegel" unglaublich tendenziös verbraten werden. Auffällig ist auch, dass man sich dabei immer wieder der gleichen halbseidenen Figuren bedient, wenn es um die (ansonsten totgeschwiegene) "Bewegung 2. Juni" geht: Bommi Baumann und Till Meyer. Ersterer ein Junkie, der sich bereits Anfang der 70er - bevor alles anfing - mit Geldern der Bewegung nach Asien absetzte. Ein ebenso großmäuliger wie ängstlicher Zeitgenosse, dessen Aussagen über die Mitglieder der "Bewegung 2. Juni" dutzende von Seiten in unseren Stasiakten (und nicht nur dort...) füllen. Der andere, Till Meyer, ist nicht weniger zwielichtig. Jahrelang bespitzelte er die taz, bei der er volontierte, und seine wenigen Freunde, die ihm nach dem Knast noch blieben, für die Stasi.


Sensationell: die Stasi hat nicht nur Martin Luther King, sondern auch Benno Ohnesorg erschossen

Als im Mai 2009 aus den Trümmern eines im April 1945 abgeschossenen Flugzeugs südwestlich von Berlin die Tagebücher des Karl-Heinz Kurras geborgen wurden, hieß es sofort: Jetzt muss die Geschichte der Westberliner Linken neu geschrieben werden.

Gemach.

Es ergeben sich zwei Fragen, aus denen weitere abzuleiten sind:
Wer war Karl-Heinz Kurras, und warum tauchen die Akten ausgerechnet jetzt auf?
Fakt ist, dass sich in den "bewaffneten Organen" aller Länder dieser Welt auffällig viele potentielle Amokläufer tummeln. Die allermeisten von ihnen unterschreiben ihren Arbeitsvertrag mit der Polizei oder Armee, bevor sie ein Massaker anrichten (das kann man dann im Dienst nachholen).

(Alle Rechte liegen beim Autor Norbert Knofo Kröcher.)

 



Buch: "...warum mir die Linke"
Knieschüsse oder: Die Kritik als Waffe





"Wozu die ellenlangen Elaborate über Schimären wie 'Staatsrecht', 'parlamentarische Kontrolle', 'Grundgesetz' etc. Die Machthaber heißen Machthaber, weil sie Macht haben und deshalb alles machen können. Überlegt Euch lieber, was WIR machen können." Knofo






Buch: "K. und der Verkehr"
Erinnerungen an bewegte Zeiten. Erster Teil: 1950 - 1989





Knofo's Autobiographie erscheint nach seinem Wunsch im BasisDruck Verlag, hat 500 Seiten und zahlreiche Abbildungen und ist prächtig ausgestattet. Die Buchpremiere findet amm 31. Mai 2017 im BAIZ statt.

siehe auch: ssb.nostate.net/2.juni







Lesung mit Norbert "Knofo" Kröcher

KAMINABENDE
im KULTURHOF


»wende - zeiten«
Deutschland-Geschichte(n)


2004 - »Lesung mit Ulrich Enzensberger«
Die Jahre der Kommune I / Aus den Anfangsjahren der Revolte
weiteres zum Autor: Ulrich
Ausstellung: »Zeitfenster des Aufbruchs . Projekt einer Spurensicherung«

2003 - »Lesung mit Inge Viett«
Einsprüche
weiteres zur Autorin: Inge
Ausstellung: »streetart kunst«

2001 - »Lesung mit Norbert "Knofo" Kröcher«
aus der Lebensgeschichte eines anarchistischen Rebellen
weiteres zum Autor: Knofo



GESUCHTE ANARCHISTEN
Fahndungsplakat nach gesuchten
AnarchistInnen der Bewegung 2.Juni - 1975



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