KAMINABEND 2001
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Norbert Knofo Kröcher - vom Fahndungsplakat nach gesuchten AnarchistInnen der Bewegung 2.Juni - 1975  Norbert Knofo Kröcher
vom Fahndungsplakat nach gesuchten
AnarchistInnen der Bewegung 2.Juni - 1975

Abt. Die Wahrheit und nichts als sie

Wahr ist: am 14. juli haben Buenaventura Durrutti, Dieter Kunzelmann und Knofo Geburtstag.

Unwahr ist: Am 14. Juli 1789 wurde die Pariser Bastille erstürmt und geschleift. Und es ist völlig schleierhaft, weshalb die Franzosen an diesem Tag jedesmal so einen Fez machen.

Also, die Bastille war eine Festung. Erst im 17. Jahrhundert wurde sie, als sie ihre strategische Bedeutung definitiv verloren hatte, als Gefängnis genutzt. Und zwar als Luxus-Knast für adlige Ärsche, die irgendeine Oberschicht-Tucke geschwängert, ein gehässiges Wort über den Regenten geäußert oder ein Duell gewonnen hatten (die waren damals nämlich gerade verboten). Es gab noch nicht einmal Zellen, sondern recht luxuriöse Appartements, die nicht verschlossen waren. Anstelle von Schließern wieselten Bedienstete durch die Gänge. Bewacht wurde das ganze von einer Kompanie Kriegsinvaliden. Voltaire, beispielsweise, war 1717/18 ein knappes Jahr lang hier untergebracht; in dieser Zeit schrieb er sein Epos "Henriade" und das Schauspiel "Ödipus". Bei seiner Entlassung wurde er fürstlich entschädigt, denn seine Inhaftierung beruhte auf einem Irrtum.

Der tägliche Unterhalt für die Gefangenen war so hoch, dass einige Hochwohlgeborene mit Schulden um Verlängerung der Haft nachsuchten, um sich was anzusparen. In der Regel wurden solche Gesuche bewilligt. Damenbesuch war möglich, Ausgang (auf Ehrenwort) ebenso.

An jenem legendären 14. Juli 1789 bevölkerten ganze sieben Gefangene die Bastille. Der Marquis de Sade war übrigens nicht dabei; der war am Tag zuvor in ein Irrenhaus verlegt worden.

Nun zu den Ereignissen dieses Tages: die waren ein echter Lacher. Am 14. Juli ersuchte eine Deputation Pariser Bürger um Einlass. Eine Menge Volk hatte sich angesammelt. Die Zugbrücke wurde heruntergelassen und die Abordnung unter der Führung eines gewissen Thuriot de la Roziere spazierte an der Spitze einer größeren Menge in die Festung. Der Kommandant der Bastille, Marquis de Launay, unterbrach sein Frühstück und die Verhandlungen um die Übergabe begannen. Die Kanonen auf den Türmen wurden zurückgezogen und die Invalidenkompanie schwor, auf keinen Fall zu schießen. Weil ein paar Leute partout Putz machen wollten, wurden schließlich doch ein paar Schüsse abgegeben, einige Leute wurden verwundet. Das revolutionäre Volk fackelte ein paar hölzerne Nebengebäude ab und zog sich erstmal zurück. Dann wurde unter der Führung des eingewanderten Schweizer Waschsalonbesitzers Hulin erneut verhandelt, und die Festung ergab sich. Allerdings hielt das freie Geleit für die Besatzung nicht lange: ein paar Pariser Penner zerrten den Kommandanten aus der Menge und hackten ihm mit einem Fleischerbeil die Rübe ab. Selbige wurde auf eine Stange gesteckt und im Triumphzug durch die Stadt geschleppt. Dito die "befreiten" sieben Gefangenen: ein adliger Mörder, zwei vornehme Bürger mit Sockenschuss und vier Yuppies, die wegen ungedeckter Schecks in Untersuchungsgaft saßen.

Erst Monate später wurde mit dem Abriss der Bastille begonnen, aber nicht vom erzürnten Volk, sondern vom damit beauftragten Bauunternehmer Palloy, der seinen 500 Arbeitern 45 Sous pro Tag bezahlte. ABM lässt grüßen. Von Ludwig dem XVI. aber, der seit 1780 den Abriss der Bastille geplant hatte, sprach niemand mehr. Warum auch.

Norbert Knofo Kröcher

 

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(Alle Rechte liegen beim Autor Norbert Kröcher.)

 


zum Weiterlesen:





  • Telegraph (Zeitschrift)

  • Buenaventura Durruti

  • Abel Paz: DURRUTI
    Leben und Tode des spanischen Anarchisten.
    Biographie www.edition-nautilus.de

  • Ein Gespräch mit dem Anarchisten Abel Paz
    Abel Paz, mit bürgerlichen Namen Diego Camacho. Er schrieb das Standardwerk: „Durruti. Leben und Tode des spanischen Anarchisten“.
    ( War aktiver Mitkämpfer in der spanischen Revolution und dem Bürgerkrieg 1936 - 1939. Sie selbst waren 16 Jahre alt, als Durruti am 20. November 1936 erschossen wurde.
    Ich bin kein Schriftsteller oder Journalist gewesen, sondern habe mein ganzes Leben in sozialen Kämpfen verbracht und dabei höchstens mal für die eine oder andere Zeitschrift etwas verfasst.

    www.anarchismus.at/txt4/abelpaz.htm

  • Roman von Hans M. Enzensberger
    Der kurze Sommer der Anarchie. Buenaventura Durrutis Leben und Tod.
    Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main
    www.suhrkamp.de/titel/titel.cfm?bestellnr=2760